Texte

von Christian Schuster

Kurt Schwertsik


* 25. Juni 1935

Bagatellen in stark wechselnder Laune op.36 (1979)


Komponiert:    Wien, 1979
Widmung:    "to Tricia and Tony"
Uraufführung:    Wien, Konzerthaus/Schubertsaal, 17. Dezember 1979
Haydn-Trio Wien (II)
Heinz Medjimorec, Klavier
Michael Schnitzler, Violine
Walther Schulz, Violoncello
Erstausgabe:    Boosey & Hawkes, London, 1983

Lebensläufe sind, nach Kurt Schwertsik, nichts anderes als "eine rein akademische Gewohnheit der Programm-Macher". Weil wir uns nur ungern dem Vorwurf des Akademismus aussetzen, übergehen wir also sein Studium bei Marx und Schiske, Kagel und Stockhausen, ebenso wie die Gründung der "reihe" (zusammen mit Cerha) und der Gruppe "MOB art & tone ART", seine Affinität zu den Beatles und "keltischer" Musik. Aus einer wirklich unakademischen Selbstdarstellung des Komponisten aus dem Jahre 1988 wissen wir: "Die musikalische Begabung zeigte sich bei meiner Geburt: ich hatte abstehende Ohren!" Wir erinnern uns auch gehört zu haben, daß Stockhausen dem Komponisten anläßlich der Uraufführung der "Liebesträume" in Darmstadt 1962 als Reaktion auf die in dem Werk vorkommenden Dreiklänge ein Stückchen Zucker mit der Aufschrift "Beehren Sie uns bald wieder!" zugeworfen habe. Und aus Schwertsiks eigener Darstellung wissen wir, daß er in eben jenem Jahre 1962 - am 3. Februar um 17 Uhr 20 - entdeckt hat, daß die Musik der Avantgarde langweilig und selbstgefällig sei. Was immer man von Schwertsiks Musik sagen möge: langweilig und selbstgefällig ist sie jedenfalls bestimmt nicht.

Die Bagatellen haben uns durch ihre deklamatorische Klarheit und Natürlichkeit angezogen. Es sind Gesprächssituationen mit fließenden und zwingenden Stimmungsübergängen, die mit großer Unbekümmertheit und Frische inszeniert und instrumentiert sind. Da dem Komponisten das Zerreden und Zerschreiben der Musik ein Greuel ist, tun wir wohl gut daran, ihn selbst zu Wort kommen zu lassen:

"Einem dermaßen im 19. Jahrhundert kulminierenden Genre wagte ich mich nur ehrfürchtig auf historischen Pfaden zu nähern.
Dem 19. Jahrhundert verdanken wir vor allem Verständnis für fremde und vergangene Schönheitsvorstellungen (Wiederbelebung historischer Instrumente und Spielweisen, Musikethnologie usw.) und die "romantische Ironie", eines der wichtigsten Kunstmittel unserer Zeit. Diese beiden Überlieferungen habe ich auf die Musik des 19. Jahrhunderts angewandt; damit reiht sich das Stück an meine Arbeiten über mittelalterliche und keltische Musik.
Der auch aus dem vorigen Jahrhundert stammende Glaube an das Heil im technischen Fortschritt wirkt gottseidank neuerdings etwas altmodisch. Mein Stück könnte vor ihm wahrscheinlich nicht bestehen!
Dem Verlauf der vier kurzen Sätze vermag jeder Hörer zu folgen, was mich der undankbaren Aufgabe enthebt, mit Worten zu beschreiben, was ich in Tönen ausgedacht habe..."

© by Claus-Christian Schuster