Texte

von Christian Schuster

Wolfgang Amadeus Mozart


* 27. Jänner 1756
† 05. Dezember 1791

Trio (Terzett) B-Dur KV 502


Komponiert:    Wien (Domgasse 5), 18. November 1786
Uraufführung:    nicht dokumentiert
Erstausgabe:    Artaria, Wien, November 1788

Am 15.November 1786 starb Mozarts drittes Kind im Alter von wenigen Wochen. Am Tag nach dem Begräbnis (das Kind wurde, so wie später auch sein Vater, auf dem Friedhof der Vorstadt St.Marx begraben), dem 18.November, beendet Mozart das vielleicht sonnigste seiner Klaviertrios. Das "Terzett für Klavier, Violin und Violoncell", wie er es in seinem eigenhändigen Werkverzeichnis nennt, ist vom ersten Takt an in das milde Licht der uns aus dem B-Dur Klavierkonzert KV 450 wohlvertrauten, "empfindsam" chromatisierten Terzgänge getaucht. Diese Stimmung gibt den Grundton für das ganze Werk. Nicht, daß es an wehmütigen Trübungen und erschütternden Ahnungen fehlte - welches Mozartsche Werk entbehrte dieser Züge ? - aber, mehr noch als sonst, bleiben diese Momente ohne Folgen, die Wolken zerfließen spurlos, und der Himmel behält seine reine, herbstlich-kräftige Farbe. Es bleibt ein gleichermaßen geheimnisvolles wie beglückendes Phänomen, daß die Tragik von Mozarts "wirklichem" Leben, die sich mehr noch als im Tod des Kindes im unaufhaltsamen Niedergang seiner bürgerlichen Existenz manifestiert ( - in jenen Wochen denkt Mozart ernstlich an eine Übersiedlung nach England, von der er sich eine Lösung seiner immer bedrohlicher werdenden wirtschaftlichen Schwierigkeiten erhofft, und knapp ein halbes Jahr später, nach der Zerschlagung dieser Pläne, muß er - äußeres Zeichen seines Abstiegs - die repräsentative Stadtwohnung gegen ein bescheidenes Vorstadtquartier tauschen - ), daß diese "prosaische" Tragik so unbegreiflich fern jener Welt lag, in die Mozart sich anscheinend so mühelos erheben konnte und in der er mit jedem neuen Werk immer heimischer wurde.

Der erste Satz (Allegro) ist ein besonders eindrucksvolles Beispiel jener "klassischen" Klarheit und Ökonomie, die den Mozartschen Stil der Wiener Jahre prägen. Ganz ohne Übertreibung oder Spitzfindigkeit könnte man sagen, daß das gesamte Material des Satzes schon in den ersten beiden Takten enthalten ist. So phantasievoll wird das Hauptthema den wechselnden dramaturgischen Erfordernissen des Satzablaufes angepaßt und so raffiniert wird der Schwung des unscheinbaren Geigenmotivs des zweiten Taktes ausgenützt, daß man das "Fehlen" eines kontrastierenden Seitenthemas erst bemerkt, wenn es - verspätet und damit gleichsam von der Last architektonischer Funktion befreit - am Anfang der Durchführung doch noch eintritt. (Dieser Gestaltungsform werden wir in Mozarts Werk ab hier häufiger begegnen, so etwa gleich einige Monate später im Kopfsatz der vierhändigen Klaviersonate C-Dur, KV 521.) Solche unerwarteten Geschenke machen sinnfällig, daß Ökonomie von Form und Material, wie sie die höchsten Kulturleistungen aller Zeiten auszeichnen, nichts mit jener spartanischen Strenge zu tun hat, die uns Dogmatiker und Diktatoren immer wieder als "klassisch" anpreisen.

Besonders subtil und organisch ist die Anbindung des folgenden Larghettos (Es-Dur) an den Kopfsatz: Aus der Codagestalt des Kopfmotivs, die die Schlußtakte des ersten Satzes beherrscht, erwächst der charakteristische Auftakt zum Hauptthema des folgenden Satzes. Die schon oben erwähnte Nähe des Werkes zum B-Dur-Klavierkonzert KV 450 zeigt sich hier nicht weniger als im vorigen Satz; auch hier entsprechen Tonart, Charakter und formale Einzelzüge dem jeweiligen konzertanten Gegenstück. Der außergewöhnlich weiträumige Satz hat jedoch eine sehr eigenwillige Form, in der Elemente eines Rondos mit solchen eines Variationssatzes zu einer völlig homogenen Einheit verschmelzen, die - gleichsam auf Fernwirkung berechnet - den Eindruck einer dreiteiligen Liedform vermittelt. Ein Blick ins Autograph (das seit dem Ende des 2. Weltkrieges in Krakau aufbewahrt wird) zeigt uns, daß eine solche natürlich gewachsene Einheit auch bei Mozart durchaus das Resultat suchender Auswahl (und nicht nur "göttlicher Eingebung") ist: Die zentrale As-Dur-Episode, die für die Physiognomie dieses Satzes so entscheidend ist, wird an einer Stelle eingefügt, an der Mozart zunächst einen ganz anderen (den Variationencharakter verstärkenden und wesentlich "gewöhnlicheren") Verlauf konzipiert hatte.

Wie sehr solche Entscheidungen, die zunächst nur den konkreten Ablauf eines Satzes zu betreffen scheinen, die Gesamtarchitektur eines ganzen Werkes mitbestimmen können, erweist sich exemplarisch am abschließenden Rondosatz (Allegretto). Die Einfügung und besondere Hervorhebung der Mittelepisode hatte im Larghetto das formale Gewicht so sehr zugunsten des Rondotyps verschoben, daß sich eine Wiederholung dieses Typs (den etwa auch der Schlußsatz von KV 450 repräsentiert) nicht anbot. Daher verzichtet Mozart in diesem Rondo auf alles, was der Mittelepisode eigenständiges thematisches Relief oder harmonische Stabilität geben könnte und ersetzt sie durch einen Durchführungsteil (was dem Satz wiederum Züge eines Sonatensatzes verleiht); folgerichtig wird aber die (im Larghetto "unterentwickelte") erste Episode hier besonders betont und liefert auch das motivische Material für den "Schlußstein" des Werkes. Auf diese Weise schafft Mozart einen komplementären Bezug zwischen Larghetto und Allegretto, der durch die Identität der melodischen Anfangsgeste beider Sätze noch dezent hervorgehoben wird. Zusammen mit dem assoziativen Raffinement, das den ersten Satz an das Larghetto bindet, ist hiemit ein kaum mehr zu überbietendes Maß an organischer Kohärenz des Werkganzen erreicht, ohne daß die Individualität und inhaltliche Geschlossenheit der Einzelsätze in irgendeiner Weise beschnitten erschiene - eine Meisterleistung, wie wir sie bei Mozart nur allzugern als "einfach gegeben" hinnehmen.

© by Claus-Christian Schuster