Texte

von Christian Schuster

Ernest Chausson


* 21. Jänner 1855
† 10. Juni 1899

Trio g-moll op.3


Komponiert:    Montbovon, Les Allières, Juni - Mitte September 1881
Uraufführung:    Paris, Société Nationale de Musique, 8. April 1882
André Messager (1833-1929), Klavier
Guillaume Rémy (1856-1932), Violine
Jules Delsart (1844-1900), Violoncello
Erstausgabe:    Rouart & Lerolle, Paris, 1919

Ernest Chausson, einziger und gehorsamer Sohn kultivierter und reicher Eltern, war kurz vor Beendigung seines Jura-Studiums 1879 von Massenet in dessen Klasse am Konservatorium eingeladen worden. Als er nach einjährigem Studium beim Wettbewerb um den Prix de Rome mit seiner Kantate "L'Arabe" scheiterte, wechselte er in die Klasse César Francks, wo er bald einer der Wortführer der "Bande à Franck" wurde. Schon als Schüler Francks komponierte er nach seinem Wettbewerbsmißerfolg, gleichsam als Selbstbestätigung, das Trio op.3, sein erstes vollendetes Kammermusikwerk.

Der erste Satz (Pas trop lent. - Animé) ist in freier Sonatenform gehalten, wobei in überaus phantasievoller Weise an die Stelle der traditionellen Gliederung in Haupt- und Seitensatz die assoziative Verknüpfung von insgesamt sieben motivischen Keimzellen tritt. Dieses Verfahren ermöglicht die flexible Anpassung des formalen Gerüstes an die inhaltlichen Erfordernisse und sichert gleichzeitig den nachvollziehbaren Zusammenhalt des recht großräumigen Satzes.

Das Scherzo (Vite, B-Dur) ist ein echt französischer Tanzsatz, dessen Eleganz vor allem auf dem subtilen metrischen Wechsel von Drei- und Viertaktgruppen beruht. Im langsamen Satz (Assez lent, d-moll) erscheinen die konstituierenden Motive des ersten Satzes in kaum veränderter Gestalt, aber ohne die fiebrige Unruhe, die ihnen dort innewohnte, und ganz ins Elegische gewandt.

Mit dem Finalsatz (Animé, G-Dur) scheint das Werk zunächst einem heiter beschwingten Ende entgegenzugehen: es ist ein Tanz, der rustikalere Töne als der zweite Satz anklingen läßt, und dessen metrische und formale Gestaltung im Unterschied zu allem Vorangegangenen sich ganz in Regelmäßigkeiten gefällt. Doch mitten in der vermeintlichen Schlußstretta bricht der musikalische Diskurs unvermittelt ab, und die Leitmotive des ersten und dritten Satzes erscheinen in düsteren und grüblerischen Farben wieder. Die Flucht ist mißglückt, und am Ende wiederholt die Geige notengetreu den chromatischen Quartfall (ein archetypisches Tonsymbol der Klage), mit dem das Cello den ersten Satz eröffnet hatte. In diesem das ganze Werk überspannenden Bezug, der nachträglich das gesamte Geschehen der vier Sätze als eine "vision fugitive", ein zeitlich dimensionsloses Traumgeschehen erscheinen läßt, ist dem "Schüler" Chausson eine wahrhaft meisterliche Lösung geglückt, die allein schon die Aufnahme dieses wenig gespielten Werkes in das Standardrepertoire jedes Klaviertrios rechtfertigen würde.

Die aristokratische Melancholie und subtile Skepsis, die das Werk Chaussons ebenso wie den Menschen selbst auszeichnete, machen ihn zu einer zentralen Symbolfigur des französischen Fin-de-siécle, auch wenn sein Name heute nur recht selten und mit ganz wenigen Werken auf den Konzertprogrammen erscheint. Unter seinen engsten Freunden waren Duparc und Debussy, Mallarmé, Monet und Odilon Redon - die Quintessenz des französischen Geistesadels seiner Zeit. Sein Tod - er starb, während der Arbeiten an seinem einzigen Streichquartett, bei einem Sturz auf einer Radfahrt - ist eine Art französisches Mittersill und hätte sich wohl einen Platz in René Staars Panorama der Absurdität "Just an accident?" verdient.

© by Claus-Christian Schuster