Texte

von Christian Schuster

Johannes Brahms


* 7. Mai 1833
† 3. April 1897

Trio Nr.2, C-Dur, op.87


Komponiert:    Wien, März, 1880
Uraufführung:    (privat) 25. August 1882, Villa Ladislaus Wagner, Alt-Aussee
Johannes Brahms, Klavier
Ludwig Straus, Violine
Rudolf Lutz, Violoncello
(öffentlich) 29. Dezember 1882, Frankfurt am Main, Saalbau
Johannes Brahms, Klavier
Hugo Heermann, Violine
Valentin Müller, Violoncello
Erstausgabe:    Simrock, Berlin, Dezember 1882

Auch wenn man nie endgültig klären wird können, ob das vielumstrittene "apokryphe" Klaviertrio in A-Dur wirklich ein Werk des jungen Brahms ist oder nicht, so wissen wir doch mit Sicherheit, daß das Genre Klaviertrio im Jugendwerk des Meisters eine wichtige Rolle spielte. Aber wir wissen auch, daß seine Versuche auf diesem Gebiet für ihn selbst Sorgenkinder blieben. Am 16. November 1853 schreibt er aus Hannover an Robert Schumann, dessen Artikel "Neue Bahnen" eben erschienen war:

"Das öffentliche Lob, das Sie mir spendeten, wird die Erwartung des Publikums auf meine Leistungen so außerordentlich gespannt haben, daß ich nicht weiß, wie ich denselben einigermaßen gerecht werden kann. Vor allen Dingen veranlaßt es mich zur größten Vorsicht bei der Wahl der herauszugebenden Sachen. Ich denke keines meiner Trios herauszugeben... Sie werden es natürlich finden, daß ich mit aller Kraft strebe, Ihnen so wenig Schande als möglich zu machen..."

Die Entscheidung, die Klaviertrios nicht zu veröffentlichen, ist umso bemerkenswerter, als Joseph Joachim wenige Wochen zuvor (18. Oktober 1853) Brahms die Herausgabe eines dieser Werke (der Phantasie d-moll) ans Herz gelegt hatte. Schon der Zwanzigjährige erwies sich also auch seinen besten Freunden gegenüber in seinem Urteil als ganz unbeirrbar. Wieviele Klaviertrios dem strengen Blick des jungen Meisters nicht genügten, läßt sich heute nicht mehr mit Bestimmtheit sagen - wenn das ominöse A-Dur-Trio (Werkverzeichnis Anhang IV Nr.5) wirklich von Brahms stammen sollte, dann müssen es wohl mindestens drei gewesen sein.

Auch dem zwei Monate nach dieser Entscheidung in Hannover beendeten Klaviertrio in H-Dur, das im November 1854 bei Breitkopf & Härtel als Opus 8 erschien, begegnete Brahms mit Zweifeln, die sich im Laufe der Jahre so verstärkten, daß er es selbst nie mehr aufführte und interessierten Interpreten massive Kürzungen verordnete. Kein Wunder also, wenn Brahms zu dem Schluß kommen mochte, er habe keine glückliche Hand für das Genre.

So vergingen nicht weniger als sechsundzwanzig Jahre, bis er sich dieser Aufgabe wieder stellte. Wie Beethoven, der, als er nach langen Jahren sich wieder dem Genre seines Opus 1 zuwendete, ein Trio-Diptychon (op.70) schuf, wollte auch Brahms die schwierige Probe gleich zweimal bestehen: Im Juni 1880 beendete er zu Beginn seines Sommeraufenthaltes in Ischl die Kopfsätze zweier Klaviertrios in C-Dur und Es-Dur, die wahrscheinlich schon im März in Wien skizziert worden waren. Hörbar gut gelaunt, aber doch nicht ohne die charakteristischen Untertöne des Zweifels, schickt er die beiden Sätze an Theodor Billroth nach Wien, damit sie dort kopiert werden:

"Lieber Freund
! Ich komme wohl am leichtesten zum Briefpapier, wenn ich Dich bitte, mir ein wenig beim Komponieren zu helfen!
Unser guter Alter (Hlawaczek, Lammgasse 12) schreibt gern behaglich; so gib ihm doch beifolgende Anfänge, daß er mir zunächst die Stimmen ausschreibt. Auch die Partitur hätte ich hernach ganz gern kopiert, zuerst die C-Dur. Ist's denn der Mühe wert, daß man weiter damit spazieren geht?
Ischl aber muß ich sehr loben, und da nur mit dem Einen gedroht wird, daß halb Wien sich hier zusammenfindet, so kann ich ruhig sein - mir ist das ganze nicht zuwider.
Ich wohne höchst behaglich Salzburger Straße 51. An Konkurrenten habe ich einstweilen nur [Ernst] Frank und [Ignaz] Brüll hier, jetzt konkurrieren wir wohl im Spazierenlaufen und Bummeln - da bin ich all meinen Kollegen weit über!..."

Anfang September verbrachte Brahms einige Tage mit Clara Schumann, die auf der Durchreise nach Berchtesgaden ins Salzkammergut gekommen war, und zu ihrem Geburtstag am 13. September kam er selbst zu ihr nach Berchtesgaden, worüber Clara in ihrem Tagebuch vermerkt:

"Johannes wirklich besonders guter freundlicher Stimmung, so daß ich wirklich Freude an seinem Besuch haben konnte. Er spielte mir auch zwei neue erste Sätze zu zwei Trios, von denen mir der in Es-Dur zumeist gefiel."

Auch aus Billroths erstem Urteil läßt sich eine gewisse Bevorzugung des Es-Dur-Trios heraushören. Doch ebenso wenig wie 1853 Joachims Fürsprache die d-moll-Phantasie retten hatte können, vermögen jetzt die Freunde das Schicksal dieses Trios zu beeinflussen. Brahms entschied schließlich, es sei nicht der Mühe wert, daß man weiter damit spazieren geht: Nie mehr wieder wird von diesem Es-Dur-Trio die Rede sein.

Doch auch das C-Dur-Werk legte Brahms beiseite, um es erst zwei Jahre später wieder vorzunehmen: Im Mai und Juni 1882 entstehen, wieder in Brahmsens Ischler Domizil, die letzten drei Sätze des Werkes. Und ganz so wie zwei Jahre zuvor wird wieder Billroth beauftragt, dem Kopisten Franz Hlawaczek das Manuskript zu überbringen. Die Zweifel scheinen beseitigt - und doch ist aus den Briefen dieser Tage zwischen den Zeilen eine gewisse Distanz zu dem Werk herauszulesen. Sowohl Simrock als auch Clara hören von dem Werk sozusagen en passant, während Brahms das gleichzeitig entstandene Erste Streichquintett (F-Dur, op.88) in für ihn ganz ungewöhnlicher Weise anpreist. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang vielleicht auch, daß Brahms das Trio an Clara schickt, während er das ihm geglückter erscheinende Quintett Elisabeth von Herzogenberg übersendet, die von der Komposition des Trios offenbar gar nichts weiß. Claras Dankesbrief (aus Gastein, 1. August 1882) enthält neben enthusiastischer Zustimmung auch eine ganze Reihe kritischer Bemerkungen und Änderungsvorschläge (die Brahms allesamt unbeachtet ließ). Schon in diesem Brief überraschen einige Urteile: Die flackernde Unruhe des Scherzos entzückend zu finden, mag ja noch eher eine Frage der Wortwahl sein - aber dem Trio eben dieses Scherzos vorzuwerfen, es sei "nicht bedeutend genug,...zu wenig anmutig,... mehr wie gemacht, als empfunden", ist wohl ein Verdikt, dem sich nur sehr wenige Zuhörer anschließen werden. Claras Reserve gegenüber dem Werk sollte sich mit der Zeit noch verstärken. Als Brahms sie zu Weihnachten 1882 mit einem Besuch überrascht, notiert sie nach einer Probe des inzwischen gedruckten Werkes (25. Dezember):

"...Auch das Trio wurde probirt, so sehr ich aber bei Einzelnem schwärme, so habe ich vom Ganzen keinen befriedigenden Eindruck, außer vom Andante, das wundervoll ist. Schade doch, daß er zuweilen nicht mehr feilt, flaue Stellen herauswirft..."

Genauso wie bei dieser Probe und der vier Tage später stattfindenden öffentlichen Uraufführung des neuen Trios, ließ Brahms auch bei der "inoffiziellen" Einweihung des Werkes dem Trio das ihn befriedigendere Quintett op.88 folgen. Bei der ersten Probe für diese private Uraufführung, die nach mehrtägigen Vorbereitungen am Vormittag des 25. August 1882 in Alt-Aussee in der neuen Villa des Budapester Gelehrten und Melomanen Ladislaus Wagner stattfand, überließ Brahms den Platz am Flügel seinem Freund Ignaz Brüll und stellte den Anwesenden das Trio als die neueste Komposition Brülls vor, der das Werk auch meisterlich vom Blatt spielte, durch das ungläubig bewundernde Staunen der anderen aber doch in eine mißliche Lage kam - einer jener Brahmsschen Scherze, die deutlich machen, daß man eine recht dicke Haut brauchte, um als Freund des Meisters bestehen zu können. (Brüll brachte nicht nur diese Voraussetzung mit und war sich seiner eigenen Grenzen genügend bewußt, um nicht gekränkt zu sein, sondern befand sich zudem gerade in der unerschütterlichsten Hochstimmung: Wenige Tage nach dieser denkwürdigen Probe gab er seine Verlobung mit Marie Schoosberg bekannt, die später zu den treusorgenden "Marien" des Meisters gehören sollte...)

Die daheimgebliebenen Wiener Freunde durften Trio und Quintett bei einem der berühmten Billrothschen Hausmusikabende am 19. Oktober 1882 kennenlernen, über den der Hausherr selbst an Clara Schumann berichtet:

"...Es giebt auch bei solchen Abenden glückliche und unglückliche Varianten. Diesmal war es einer der glücklichsten. Brahms war in allerbester Laune, nicht gerade, daß alles schon vollendet gelang, aber die neuen Werke selbst begeisterten die Spieler; beide Stücke wurden gleich zwei mal hintereinander gespielt und es entwickelte sich bei allen, ich möchte fast sagen auch in der Luft meines Musiksaals eine musicalisch warme Stimmung, nach der man an anderen Abenden vergeblich ringt. Brahms stöhnte und ächzte beim Spiel (unter uns gesagt, Sie kennen ihn gewiß so); man hatte die Empfindung, er habe es eben erst niedergeschrieben; so heiß strömte die Empfindung bei ihm aus; der Flügel ächzte freilich auch, denn, um den im ganzen mehr weichen Hellmesberger zu einer solchen Energie zu treiben, wie ihn gleich der erste Satz vom Trio braucht, - dazu ist freilich einiger Impuls nöthig..."

(24. Oktober 1882)

Die drängende Energie dieses Eröffnungssatzes (Allegro) entfaltet sich Schritt für Schritt, um vom poco forte des Streicherincipits zum vollgriffigen Satz der Wiederholung des Themas im alle Instrumente vereinenden Forte zu gelangen. Brahms hat in der Sorge, die Interpreten könnten sich von der Monumentalität des Materials zu einem zu behäbigen Tempo verleiten lassen, seine tiefe Aversion gegen das Mälzelsche Marterinstrument für einmal überwunden und dem Satz eine metronomische Tempobezeichnung vorangestellt. Keimzelle des Satzes (und in der Folge des ganzen Werkes) ist ein steigendes Dreitonmotiv, das alle erdenklichen Gestalten zwischen einer chromatischen Halbtonfolge und einer Dehnung über ein Tritonusintervall annimmt, zugleich aber in seiner "reinsten", nämlich diatonischen Form als "Urlinie" im Hintergrund agiert.

Der von den ersten Hörern des Werkes einmütig bevorzugte Variationensatz (Andante con moto, a-moll) verwendet diese diatonische Urgestalt als charakteristisch rhythmisierten Themenkopf - die markiert trochäischen Betonungen des wohl zugrundeliegenden ungarischen Volksliedes regieren den Satz, bis in der vierten Variation gleichzeitig mit dem Verlassen der Molltonart auch dieses Element sich allmählich verflüchtigt, um aus der Ferne einen lieblicheren Siciliano-Rhythmus durchscheinen zu lassen, der uns an die analoge Stelle (Variation VII) der Haydn-Variationen op.56 denken läßt. Auch in der abschließenden fünften Variation, die direkt in eine wehmütige Coda mündet, wird der sanft wiegende Sechsachteltakt der vorhergehenden Variation beibehalten, ohne daß der Magyarenstolz des Anfangs noch einmal zu Wort käme.

Eine völlig andere Erscheinung des Sechsachteltaktes tritt uns im Scherzo (Presto, c-moll) entgegen. Die von Billroth und anderen behauptete Nähe dieses Satzes zu Mendelssohn ist wohl nichts viel mehr als eine optische Täuschung, die der akustische Eindruck eigentlich korrigieren sollte: Mendelssohns Vorliebe für dahinhuschende Sechsachtel-Scherzi ist im allgemeinen sehr weit von der dämonischen Unruhe entfernt, die diesen Satz beherrscht, bis das Trio (Poco meno presto, C-Dur) einen hymnisch-hellen Gegenpol schafft.

Das Urmotiv, das die ersten beiden Sätze durchzieht und nur im Scherzo in den Hintergrund tritt, gibt im Finale (Allegro giocoso) wieder ganz kräftige Lebenszeichen von sich. Es hat sich jetzt von dem dramatischen Druck, der im ersten Satz zu so ausdrucksvollen Verformungen geführt hat, ganz befreit und führt ein sehr übermütiges und schalkhaftes Dasein. Die unbändige Spottlust dieses Motivs setzt sich am Ende der Durchführung gegen alle ernsthafteren Einwände durch. Der nahezu dadaistische Unernst dieser Passage ließ den Brahms-Biographen Alfred von Ehrmann befremdet fragen, wie Brahms sich so weit gehen lassen konnte, einen solchen "Schusterfleck" passieren zu lassen. Bei näherer Betrachtung sieht man freilich, daß der unverhohlene Schabernack dieser Stelle in anderer Form jene Diskussion wiederholt (und karikiert), aus der der erste Satz seine imposanten Energien bezogen hat. Die innige Verquickung von konstruktivem Tiefsinn und souveränem Nonsens, zu der Brahms hier spielerisch gelangt, ist sicheres Indiz dafür, daß er in die Jahre seiner reifsten Meisterschaft eingetreten ist.

© by Claus-Christian Schuster