Texte

von Christian Schuster

Ludwig van Beethoven


* 16. Dezember 1770
† 26. März 1827

Adagio, Variationen und Rondo op.121a („Kakadu-Variationen“)


So gut wie nichts ist über die Entstehung dieses populären Werkes bekannt. Als Beethoven es am 19. Juli 1816 Gottfried Härtel zum Verlag anbietet, schreibt er:

"Variationen mit einer Einleitung u. Anhang für Klawier violin u. violonschell über ein bekanntes müllerisches Thema, sie sind von meinen Frühern Kompositionen jedoch gehören sie nicht unter die verwerflichen."

Ob das Werk, das (mit Brief von Beethovens Bruder Carl vom 27. August 1803) schon dreizehn Jahre früher dem Hause Breitkopf angeboten worden war ("Variationen...mit Introduzzion und großem letztem Stück"), mit den Kakadu-Variationen ident ist, konnte bis heute nicht erwiesen werden, ist aber doch sehr wahrscheinlich.

Das hier von Beethoven variierte Thema entstammt dem Singspiel Die Schwestern von Prag (uraufgeführt am 11. März 1794) von Wenzel Müller (1767-1835). Wenzel Müller, den W. H. Riehl einen "deutschen Bänkelsänger" genannt hat, bei dessen Liedern man in Zweifel komme "ob er sie dem Volk oder ob das Volk sie ihm gestohlen" habe, hatte ein ganz außergewöhnliches Talent im "Erfinden" volkstümlicher Lieder: die Melodien von "Bald gras ich am Neckar", "Kommt ein Vogerl geflogen" und "Wer niemals einen Rausch gehabt" gehen ebenso auf ihn zurück, wie die bis heute populären Lieder zu Ferdinand Raimunds Barometermacher auf der Zauberinsel, Moisasurs Zauberfluch und Alpenkönig und Menschenfeind ("So leb´ denn wohl, du stilles Haus!"). Im Auftrittslied des Schneidergesellen Crispin aus den Schwestern von Prag wollte er vielleicht die Papageno-Arie "Ein Mädchen oder Weibchen" parodieren. Das Erfolgsstück, das bis 1828 im Repertoire blieb und über 130 Vorstellungen erlebte, ist eine überaus bühnenwirksame Verkleidungskomödie (Text von Joachim Perinet nach Philipp Hafner). Das Lied Crispins war zu Lebzeiten Beethovens ein beliebter Gassenhauer:

Ich bin der Schneider Wetz und Wetz,
Bin g´reist durch d´halbe Welt.
Ich bin vom Hütel bis zum B´setz
Ein Biegeleisenheld.
Itzt komm´ ich erst von Eipeldau,
War bey der Mauth just auf der B´schau.
Da habn´s mich haarklein visitirt,
als hätt´ die Pest mich infizirt.


Da der Schneider Crispin als "Schwester von Prag" verkleidet eine kupplerische Mission zu erfüllen hat, mag mancher der Zuhörer mit "Wetz und Wetz" das mundartliche "wetz sein" (scharf sein) assoziiert haben, was dann - ad usum delphini - zu der dadaistischen Redaktion "Ich bin der Schneider Kakadu" Anlaß gegeben hat. Man darf wohl davon ausgehen, daß Beethoven mit seiner Vorliebe für das unverfälscht Volkstümliche bei seinen Variationen eher an den Schneider "Wetz und Wetz" als an den Schneider "Kakadu" gedacht hat.

Die Variationen sind ein wahres Feuerwerk an brillanten und originellen Einfällen. Schon der erste Rezensent des Werkes, der anonyme Kritiker des Allgemeinen musikalischen Anzeigers (Wien 1830) hatte einen klaren Blick für die Gediegenheit, die dieses Variationenwerk weit über die konventionelle Tagesproduktion hinaushebt, aber auch für die keineswegs alltäglichen Schwierigkeiten des Werkes:

"Das alte Lied des Schneiders Crispinus, alias: Wetz, Wetz, Wetz, auf eine Art und Weise, mit solchem Geiste und kühner Phantasie variirt, wie ein Meister nur immer variiren kann. Leicht ist die Geschichte freylich nicht; soll´s aber auch nicht seyn, denn zum eiteln Getändel ist´s wahrlich keineswegs bestimmt. So wie der Principalist seiner Sache ganz gewachsen seyn muß, verlangen die beyden Adjutanten gleichfalls ihren Mann; wenn hingegen jeder Alles, was ihm der Genius des unerschöpflichen Tonsetzers, der stets den eigenen Pfad einschlägt, und nie altert, nie sich selbst abconterfeyt, zumuthet, vollkommen gut herausbringt und bezwingt, dann mögen die Tripel-Alliirten sich gegenseitig Glück wünschen; es ist allerdings etwas mehr, als conventionelle facon à parler."

Die gespielte Tragik der Einleitung erschließt sich erst rückblickend vom Thema aus als humoristisches Kabinettstück. Die Variationen I-III stellen in altbewährter Manier die drei Instrumente der Reihe nach vor (Klavier, Violine, Violoncello). In der Variation IV wird übermütig mit versetzten und ins Leere laufenden Auftakten gespielt, die folgende ist ein Scheinkanon. Besonders komisch ist die Variation VI, wo die Streicher das dahinstürmende Klavier mit übelgelaunten Akzenten aufzuhalten und zu stören versuchen. Dafür zieht sich das Klavier auch in Variation VII schmollend zurück und überläßt den Streichern das Feld, die einen auf raffinierte Weise einfältigen rustikalen Kanon vortragen. Mit der Folgevariation bringt Beethoven den unwiderstehlichen "Drive" seiner aparten Synkopierungen ins Spiel, dem sich auch das Klavier nicht entziehen kann. Die anschließende Minore-Variation läßt uns die ulkige Umgebung für einige Takte ganz vergessen - man glaubt sich in eine barocke Opera seria versetzt. Variation X, eine durchaus geflüsterte Gigue-Travestie des Themas, geht nahtlos in den "Anhang" über, den die Erstausgabe seltsamerweise ein "Rondo" nennt. Dieser Anhang besteht aus drei Teilen: einem g-moll Fugato, einer wieder zum Hauptmetrum und zum Dur zurückkehrenden "überzähligen" (11.) Variation und einer sich daran schließenden Coda, mit der das Werk zu brillantem Abschluß gebracht wird.

© by Claus-Christian Schuster